Die Verwerfung

Er sagte, man nenne ihn Charlie, sofern man sein Freund sei. Wirkliche Freunde habe er wenige, in Deutschland fast keine. Der beste sei ein Indianer, ein anderer Beduine. Zwei Engländer, beide von Adel, gehörten auch dazu, das sei es dann. Alles andere? Reisebekanntschaften, davon aber jede Menge.
„Welche Zeit haben wir denn?“, fragte er unvermittelt.
Wir saßen auf einem Bänkchen am Waldrand, meinem Bänkchen wohlgemerkt. Er hatte sich ungefragt zu mir gesetzt, dabei machte der Herr einen gebildeten, distinguierten Eindruck. Aber ich bin nicht wirklich empfindlich, und der Mann begann mich zu interessieren.
Ich schaute auf die Uhr. „Vierzehn Uhr dreißig“, antwortete ich hilfsbereit.
Er schickte einen schnellen Blick zum Himmel, musterte kurz die Länge des Schattens, den die Eiche hinter uns warf und antwortete amüsiert: „Das sehe ich ohne Uhr. Ich meinte …“ Er musterte mich prüfend. „Nun … welches Jahr haben wir … hier, bei Ihnen?“
Jahr!?? Ich rückte vorsichtshalber etwas von ihm ab. „Wieso? Wissen Sie denn nicht …?“
Er unterbrach mich: „Nein, nicht wirklich. Ich habe mich – sozusagen – verlaufen, verstehen Sie. Beschämend für jemanden wie mich, der gewohnt ist, in jeder Gegend den Weg zu finden. Aber … nun ja … Raum und Zeit sind zwar Geschwister, aber sie wohnen nicht im selben Haus.“
Der Mensch gab mir immer mehr Rätsel auf. „Sie sind offensichtlich Sachse“, startete ich den Versuch, meinen Banknachbarn auszuhorchen, der mir langsam merkwürdig bekannt vorkam.
Er musterte mich amüsiert. „Das zu erkennen war wohl nicht schwer. Ein Sachse kann seine Herkunft schlecht verleugnen, egal welchen Idioms er sich bedient. Ich spreche viele Sprachen, aber sächseln tue ich in jeder.“ Er zwinkerte mir zu. „Außerdem … doch halt, haben Sie das gehört?“

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