Die Zeitfalte

Die Zeitfalte

 

Olaf war anders. Das hing vor allem mit seinem Namen zusammen. Niemand hieß so blöd wie er. Die anderen ließen ihn das sehr deutlich spüren. Aber auch davon abgesehen machte er keinen Stich. Mit diesem Namen zu leben war schon eine Strafe, aber dazuhin auch noch der Kleinste zu sein, war einfach ungerecht.

Niemand wählte ihn im Sport aus, er stand immer als Letzter in der Reihe und hing an der Kletterstange regelmäßig auf halber Höhe fest, denn er hatte Höhenangst.

Olaf seufzte. Er saß allein, wie meistens, auf der Schlossmauer und schaute ins Land. Der Blick war atemberaubend, und einen Moment lang war er versucht, sich einfach abzustoßen und übers Land zu schweben, wie es die Greifvögel der Falknerei gestern getan hatten, die zum Schloss gehörte. Aber das konnte er auch nicht.

Was nützte es schon, einen herrlichen unkontrollierten Nachmittag zum freien Gestalten zu haben, wenn die anderen Fußball spielten und ihn nicht dabei haben wollten. Und sich an die Mädchen zu halten, verbot sich von selbst.  Scheiß Schullandheim!

Am liebsten hätte er sich noch einmal den Laubensaal angeschaut, diesmal aber alleine. Wenn er sich überlegte, was das für ein Maler gewesen sein musste, wurde ihm ganz schwindelig. So malen zu können … nicht auszudenken! Er malte fürs Leben gern, aber das war keine Kunst, mit der er punkten konnte.

„Malen ist Weiberkram“, maulte Lars immer, wenn sie Kunst hatten, und was Lars sagte, war Gesetz, denn er war der King der Klasse.

„ … schauen wir noch kurz in den Laubensaal.“ Olaf fuhr herum. Der Hausmeister und ein Mann, den er nicht kannte, steuerten den Laubensaal an.

Olaf rutschte von der Mauer und schlich den beiden wie ein Schatten hinterher …