Schicksalswege

„Wie schön du es hier hast“, schwärmte Anna und sog genüsslich den Duft der Kletterrosen ein, die meinen Balkon umrankten.
Ja, ich hatte es wirklich schön. Die kleine Wohnung im Dachgeschoss eines alten, renovierten Hauses war ein Juwel, und um den Blick auf den großen Garten mit uraltem Baumbestand beneidete mich jeder Besucher.
„Es ist so schade, dass du alleine lebst“, fuhr Anna bekümmert fort.
Ich seufzte. Nicht diese Leier wieder!
„Anna! Bitte! Du weißt doch, dass ich nach meiner traumatischen Ehe und der Scheidung keine Lust mehr ….“ Sie unterbrach mich.
„Ja, ja! Das meine ich auch nicht. Ich frage mich nur, weshalb es mit diesem Traummann von damals, diesem … wie hieß er noch mal … nichts geworden ist.“
Der jähe Schmerz, der mich durchfuhr, war mir vertraut. Wie merkwürdig das war, nach all diesen Jahren.
„Rolf“, sagte ich spröde.
„Rolf“, wiederholte Anna und gab dem Wort einen schwelgerischen Beiklang, der mich störte.
„Hör auf, Anna, so war das nicht. Außerdem ist es schon lang vorbei.“
Jetzt wurde sie ernst.
„Nein, Carla, es ist noch nicht vorbei. Mir machst du nichts vor. Dein Ex war die zweite Wahl, nicht wahr?“
Ich hob abwehrend die Hand, doch dann überkam mich unverhofft der Wunsch, davon zu erzählen, einmal wenigstens, und das erstaunte mich selbst.
Ich holte tief Luft.