„Versprich mir, dass du schweigen wirst.“ Sein Blick wird hypnotisch. „Versprich es.“
Ich starre zurück, wie gelähmt, unfähig, mich zu bewegen oder zu denken.
„Bitte, versprich es. Mein Leben hängt davon ab.“
Ich nehme erst jetzt wahr, dass ich nicke. Ein schweigendes Zeitlupennicken, das von seinen Augen gehalten wird wie von einem unsichtbaren Faden, als würde etwas in mir fürchten, dass ich andernfalls jegliche Kraft verlöre.
Sein Gesicht nähert sich, verschwimmt wie eine Vergrößerung jenseits von Schärfe, und als seine Lippen meinen Mund federleicht berühren, spüre ich sie kaum, denn meine Lippen sind fast taub.
Die letzten Tage unseres Familienurlaubs verbringe ich wie in Trance. Es berührt mich nicht mehr, die ganzen Verwandten zu sehen, die bislang flache schwarzweiß Fotos gewesen und zu meiner Überraschung tatsächlich lebendig sind. All die Onkels, Tanten, Cousins und Cousinen, eingesperrt hinter einer Grenze, von der ich erst eine Vorstellung bekam, als Maschinengewehre, lässig über die Schultern junger Männer in Uniform geworfen, ihr leeres schwarzes Auge auf unser Gepäck und die harmlosen Mitbringsel aus dem Westen richteten. Stumme Drohungen, die meiner Fassungslosigkeit begegneten, die ich nie ganz verlor in diesem Land meiner Vorfahren.
Kein Wunder, dass dies die Heimat Draculas ist, denke ich wie so oft, als ich zwischen den vielen Verwandten sitze, die ein Abschiedsfest geben für uns, für die beneideten Glückspilze, die im Westen leben dürfen, dort, wo Milch und Honig fließt, wo es nicht am Nötigsten fehlt und oder gar Klopapier unterm Ladentisch gehandelt werden muss und unverschämt teuer ist, wenn man bedenkt, welchen Zweck es hat.
Und unter all den Leuten nehme ich nur einen wahr, spüre ihn, wo immer er ist, als hätte ich Sensoren am ganzen Körper und wäre nur auf seine Frequenz ausgerichtet. Peter! Versprich mir, dass du schweigen wirst, denkt mein Kopf unablässig, versprich mir, dass du schweigen wirst … schweigen wirst … schweigen … schweigen …ich werde fliehen … beim Eisernen Tor … schweigen … fliehen … schweigen …