Wo Regenbögen runterkommen

Sinja mag Regenbögen, sehr sogar.
Bloß gibt es nicht oft welche – leider.
Nur wenn es abends regnet, und wenn gleichzeitig die Sonne scheint.
Heute Abend regnet es, und die Sonne scheint auch.
Ein ganz komisches Licht ist draußen.
Sinja rennt in den Garten, und da ist er: Der

Und glücklicherweise ist Mama gerade nicht da. Sie ist einkaufen. Deshalb kann Sinja endlich das tun, was sie schon lange mal wollte:
Dorthin gehen, wo der Regenbogen runterkommt. Sie sieht ganz genau, wo das ist: Hinten bei den Weiden am Bach. Dort kommt er herunter, und dort geht sie jetzt hin.
Es ist gar nicht weit.
Allerdings ist es dann doch weiter, als Sinja zuerst dachte, denn als sie bei den Weiden ist, sieht sie das Ende des Regenbogens plötzlich am Waldrand. Das ist merkwürdig.
Sie hat schon geahnt, dass es mit Regenbögen eine besondere Bewandtnis hat, aber dass sie wandern, hätte sie nicht gedacht.
Sinja wandert auch, immer dem Ende des Regenbogens nach, und als sie den Waldrand erreicht hat, ist der Regenbogen weg. Einfach weg!
Verstört bleibt sie stehen. Das hat sie nicht erwartet. Und als sie nachdenkt, wird ihr klar, dass noch etwas weg ist: Der Heimweg!
Das heißt, er ist wahrscheinlich schon noch da, aber ihre Erinnerung daran, wo er sein könnte, ist weg.
Jetzt ist es Sinja gar nicht mehr recht, dass Mama einkaufen ist. Es wäre ihr viel lieber, sie wäre da und würde ihr zeigen, wo zu Hause ist.
Und Sinja fängt an zu weinen, denn jetzt wird es auch noch langsam dunkel.
Die Sonne wirft ihre letzten Strahlen gerade noch einmal mächtig auf die Wiese herunter, doch aus dem Wald kriecht schon die Dunkelheit herbei.
Sinja schaut verzweifelt dorthin, wo noch die Sonne scheint und sieht weit hinten ein Gefunkel. Sie schaut genauer hin und erkennt plötzlich die Weiden.
Jetzt weiß sie die Richtung und läuft schnell zu den alten Bäumen hin.
Und dort, an den Weidenruten hängen Tausende und Abertausende von winzigen Regentröpfchen, und das Licht der untergehenden Sonne, malt in jedes Tröpfchen einen kleinen Regenbogen.
Sinja staunt mit offenem Mund und schaut und schaut und kann es nicht glauben.
Dann fängt sie an zu strahlen.
Sie hat es ja gewusst! Sie hat es gewusst! Dort wo der Regenbogen in die Erde geht, dort geschieht etwas Wunderbares. Und nun – nun weiß sie auch, was.
„Sinja“, hört sie jetzt Mama ängstlich rufen, „Sinja! Wo bist du!“
„Hier“, antwortet diese fröhlich und hopst vergnügt zurück.
„Da bist du ja, Kind! Gott sei Dank! Ich war vor Angst außer mir. Wo warst du denn?“, ruft Mama ganz aufgelöst.
„Ich war dort, wo der Regenbogen runterkam, Mama!“
„Was? Und wo war das?“
„Bei den alten Weiden.“
Mama schaut Sinja nachdenklich an.
„Und“, fragt sie dann sanft, „hast du ihn gefunden?“
„Nein, er war schon weg, als ich hinkam. Aber ich weiß, dass er da war. Und ich weiß jetzt auch, was er dort gemacht hat.“
„Ja? Und was?“ Mama ist sehr erstaunt.
„Dort, wo der Regenbogen runterkommt, werden die kleinen Regenbögen geboren, viele, viele. Tausend oder so.
Und die fliegen dann durch die Welt und wachsen, und wenn sie groß sind, dann werden sie Regenbogenpapas und -mamas.“
„Waaas?“ Mama ist ganz verdutzt.
„Ja! Ganz viele waren es. Ich hab sie gesehen. Dort hinten bei den Weiden“, sagt Sinja strahlend und sie streckt alle zehn Finger weit über den Kopf, um Mama zu zeigen, wie viele es waren.
Mama schaut Sinja ungläubig an.
Doch Sinja macht es nichts aus. Sie weiß, was sie gesehen hat, und wie soll man ein Wunder erklären. Man kann es nicht.
„Wenn wieder ein Regenbogen kommt, Mama, dann zeige ich es dir, dir ganz allein. Ich zeige dir Hunderttausend kleine Regenbogenbabys.“
Und Sinja hüpft glücklich die Treppe hoch ins Haus.